Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

Wahlen im Iran. Die islamische Republik am Scheideweg

Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei
Dieses Bild steht unter einer GNU-Lizenz.

19. Mai 2009
Von Bahman Nirumand
Am 12. Juni 2009 wählt die Islamische Republik Iran ihren zehnten Präsidenten. Verlässliche Umfragen gibt es nicht. Zudem sind Wahlen im Iran nicht frei, denn es sind nicht die Wähler allein, die bestimmen, wer das Amt des Präsidenten übernimmt. Der für die Wahlen zuständige Wächterrat schließt zuvor unliebsame Kandidaten als „ungeeignet“ aus. Zudem werden Wahlen im Iran manipuliert und gefälscht. Auch einzelne Machthaber versuchen, auf den Ausgang der Wahlen Einfluss zu nehmen. Daher sind Prognosen nicht möglich, die Spannung wird wohl bis zum letzten Tag anhalten.

Überraschungen hat es bei den Präsidentschaftswahlen oft gegeben. 1997 rechnete kaum jemand mit dem überwältigenden Sieg von Mohammad Chatami, und 2005 war der Sieg des vergleichsweise unbekannten Bürgermeisters von Teheran, Mahmud Ahmadinedschad, über den zweitmächtigsten Mann im Gottesstaat, Haschemi Rafsandschani, eine Überraschung. Allerdings ist es seit dem Tod Ayatollah Chomeinis noch nie vorgekommen, dass ein amtierender Präsident, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, die Wahl verliert. 

Überraschungen bei Präsidentschaftswahlen die Regel

Bei den Wahlen 2009 ist die Lage jedoch noch unübersichtlicher und komplizierter als in der Vergangenheit. Unter den wichtigsten Fraktionen, das heißt unter Konservativen und Reformern, herrscht keine Einigkeit - beide sind in sich gespalten. Das ist auch vielleicht mit ein Grund dafür, dass der mächtigste Mann des Gottesstaates, Revolutionsführer Ali Chamenei, es zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs für nötig gehalten hat, sich einzumischen und eindeutig für Ahmadinedschad Partei zu ergreifen.

Obwohl Chamenei erst kürzlich betont hatte, er werde sich bei der Wahl neutral verhalten, sagte er in einer vom staatlichen Fernsehen übertragenen Rede, gewählt werden sollten „diejenigen, die vom Volk unterstützt werden und einfach und bescheiden leben“ - womit er unmissverständlich Ahmadinedschad meinte. Damit nicht genug. Chamenei griff Kandidaten, die die Regierung Ahmadinedschad kritisieren, scharf an. „Man hört aus dem Munde mancher Kandidaten Dinge, bei denen man nicht glaubt, dass sie redlich und aus gutem Willen geäußert werden“. Und weiter: „Ich kenne die Lage im Land besser als all diese Herren und weiß, dass ihre Kritik gegen die Politik und Wirtschaftspolitik der Regierung nicht der Wahrheit entspricht“.

Wahlhilfe vom Revolutionsführer

Diese Wahlhilfe durch Chamenei wird ohne Zweifel das Ergebnis der Wahl massiv beeinflussen. Nicht nur ultrakonservative Islamisten folgen blindlings dem Revolutionsführer, auch sämtliche staatliche Medien, Geheimdienste, die Armee, die Millionen Mitglieder zählende paramilitärische Milizenorganisation der Basidjis und nicht zuletzt der bewaffnete Arm des Gottesstaates, die Revolutionswächter, stehen unter seinem Befehl.

Ahmadinedschad hat diesen Beistand von höchster Stelle bitter nötig. Er hat trotz aller Propaganda gerade bei den Ärmeren, denen er zu Beginn seiner Amtszeit Wohlstand versprochen hatte, an Rückhalt verloren. Die Wirtschaft des Iran hat sich unter seiner Amtsführung trotz ungewöhnlich hohen Öleinnahmen katastrophal entwickelt. Laut offiziellen Statistiken leben heute 50 Prozent der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze. Diese Entwicklung ist nicht in erster Linie eine Folge der Weltwirtschaftskrise oder des rapiden Falls der Ölpreise seit Sommer 2008. Auch die im Rahmen des Atomkonflikts gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen spielen dabei keine große Rolle. Hauptgrund für die Krise ist die katastrophale Wirtschaftspolitik der Regierung, die planlos lediglich die eigene Klientel bedient, im In- und Ausland Almosen verteilt und nicht langfristig investiert.

Katastrophale Wirtschaftslage

Auch seinem Versprechen, die haarsträubende Korruption im Iran zu bekämpfen, ist Ahmadinedschad nicht nachgekommen. Im Staatshaushalt ist, nach Angaben des nationalen Rechnungshofs, nicht nachgewiesen, wofür mehrere Milliarden ausgegeben wurden. Innenpolitisch hat Ahmadinedschad Repressionen und staatliche Kontrolle erheblich verschärft. Die Zahl der Hinrichtungen hat rapide zugenommen, regierungsunabhängige Organisationen wurden aufgelöst oder einer rigiden Kontrolle unterzogen. Unabhängige Zeitungen und Zeitschriften gibt es kaum noch.
 
Außenpolitisch hat Ahmadinedschad den Iran durch seine kompromisslose Politik, seine unnötigen Attacken gegen die USA und Israel immer mehr in die Isolation getrieben. Sanktionen und Kriegsgefahr verunsicherten nicht nur inländische, sondern vor allem auch ausländische Unternehmen und hielten sie von Investitionen ab. Auch das Verhältnis Irans zu den arabischen Staaten, Irak und Syrien ausgenommen, hat sich erheblich verschlechtert.

All dies hat dazu geführt, dass die Kritik an Ahmadinedschad immer lauter wurde. Aber Ahmadinedschad hat auch einige Trümpfe in der Hand. Er rühmt sich, im Gegensatz zu den „verängstigten Reformern“, durch seinen „heldenhaften Widerstand“ die USA zum Einlenken und zum Dialog gezwungen zu haben. Zudem habe er als einziger Staatsmann in der islamischen Welt die Fahne des Islam hochgehalten und den Palästinensern Beistand gewährt.

Ahmadinedschad gegen Mussavi

Unter den mehr als 700 Bewerbern um das Amt des Präsidenten, sind für Ahmadinedschad lediglich drei ernsthafte Konkurrenten. Und von diesen dreien hat, den meisten Beobachtern zufolge, nur der ehemalige Ministerpräsident Mir Hossein Mussavi eine echte Siegchance.

Die beiden anderen, der ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karrubi und der frühere Kommandant der Revolutionswächter, Mohsen Rezai, versprechen den Wählern das Blaue vom Himmel. Karrubi will die Öleinnahmen auf das ganze Volk verteilen, und Rezai stellt in Aussicht, dass seine Regierung die Hälfte des Gehalts für jeden neu angestellten Akademiker und Techniker übernehmen werde.

Karrubi stammt eigentlich aus dem Lager der Konservativen, präsentiert sich jedoch als Reformer. Rezai ist ein Konservativer, plant aber nach eigenen Angaben eine „nationale Koalitionsregierung“. Keiner von beiden gilt als Favorit. Ihre Kandidatur könnte aber dazu führen, dass weder Ahmadinedschad noch Mussavi schon im ersten Wahlgang siegen. Allgemein wird damit gerechnet, dass es zu einer Stichwahl kommen wird.

Wachsende Unzufriedenheit im Lande

Dass sämtlich Kandidaten von einem „Wechsel“ sprechen und „yes we can“ rufen, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass angesichts der wachsenden Unzufriedenheit und der Gefahren, die dem Land von außen drohen, der bisherige Weg nicht fortgesetzt werden kann. Die Islamische Republik steht an einem Scheideweg.

Außenpolitisch steht das Regime vor einem Dilemma: Geht man auf den Kurswechsel der USA ein, nähert sich dem Westen an und normalisiert die Beziehungen, dann muss zwangsläufig eine zentrale Säule des Gottesstaates abgerissen werden: die Feindbilder USA bzw. „der Westen“. Der islamische Gottesstaat verlöre damit einen wichtigen Teil seiner Legitimität - und das nicht nur im eigenen Volk, sondern in der gesamten arabisch-islamischen Welt. Setzt man hingegen den radikalen Kurs fort, riskiert man weit härtere Sanktionen, Isolation und sogar einen Krieg. Als Lösung böte sich ein Mittelweg an, der auf Kompromisse eingeht und gleichzeitig die Prinzipien der Islamischen Republik bewahrt. Mit den Radikalislamisten um Ahmadinedschad ist das nicht möglich.

Arbeitslosenrate 30 Prozent

Auch innenpolitisch scheint ein Regierungswechsel zwingend. Ein grundlegender Wandel in der Wirtschaft ist angesichts der massiven Kapitalflucht, 30-prozentiger Arbeitslosigkeit und einer Inflationsrate von über 20 Prozent, existenziell. Die wachsende Unruhen unter Arbeitern, Lehrern und vor allem bei Studenten und jungen Arbeitslosen weisen auf Gefahren, die das ganze System bedrohen.

Das merken auch die Staatslenker. Sie haben eine geradezu panische Angst vor einem „sanften Regimewechsel“. Die gesamte rechte Presse, Politiker, Geheimdienste und Militärs warnen täglich vor dieser Gefahr, die allerdings nach ihrer Darstellung nicht von der wachsenden Unzufriedenheit im Land herrührt, sondern von außen, von fremden Geheimdiensten und ihren Helfershelfern im Land geschürt wird.

Was tun? Verstärkte Repressionen, Zensur, noch mehr Festnahmen und Einschränkungen helfen nicht weiter, sondern vergrößern die Gefahr. Reform, die Öffnung nach innen wie nach außen, ist unvermeidlich. Die zentrale Frage für die Staatsführung ist dabei, wie ein Wechsel vonstatten gehen kann, ohne dass dabei alles aus den Fugen gerät. Wichtig ist auch die Frage, wer in dieser Lage die Regierung führen kann. Vielen Drahtziehern hinter den Kulissen ist inzwischen klar, dass dies mit Ahmadinedschad und den radikalen Islamisten nicht möglich sein wird.

Steht Mussavi für den Wechsel?

Viele glauben, Mussavi könnte der richtige Mann für einen Wechsel sein. Mussavi hatte während seiner Amtszeit als Ministerpräsident (1982 bis 1989) trotz des achtjährigen Kriegs gegen den Irak die Wirtschaft über die Runden gebracht - und gleichzeitig mit dazu beigetragen, dass die gesamte Opposition liquidiert wurde. An die Macht gekommen war er als Zögling Ayatollah Chomeinis, behaftet mit der Ideologie der ersten Jahre der Revolution. Ob sich seine Ansichten inzwischen geändert haben, wusste man bis vor Kurzem nicht. Mussavi hatte sich zwanzig Jahre lang in Schweigen gehüllt, war nie öffentlich aufgetreten. Aktuell ist er Mitglied des Schlichtungsrats - aber der tagt hinter verschlossenen Türen.

Vor wenigen Wochen meldete Mussavi überraschend seine Kandidatur an - worauf der populäre ehemalige Staatspräsident Mohammad Chatami seine Bewerbung zurückzog. Nach und nach scharten sich sämtliche Parteien und Organisationen im Reformlager, manche zähneknirschend, um ihn. Aber auch moderate „prinzipientreue“ Konservative signalisierten Sympathien für ihn.

Mussavi selbst bezeichnet sich als „prinzipientreuen Reformer“, soll heißen, er bewegt sich zwischen den Fronten. „Erste Aufgabe einer neuen Regierung wäre die Rückkehr zur Vernunft“, sagte er kürzlich. Er wirft Ahmadinedschad vor, das Land durch seine unnachgiebige Haltung im Atomstreit und seine anti-israelischen Attacken in die Isolation getrieben zu haben. „Inmitten dieser Stimmungslage voller Verwirrungen und Unsicherheiten können wir kaum die Entwicklung des Landes voranbringen“, sagte er. Zugleich betonte er, er werde von dem Recht Irans auf friedliche Nutzung der Atomenergie, auf Urananreicherung und die Herstellung des atomaren Brennstoffs im eigenen Land nicht verzichten.

Almosenwirtschaft und Korruption

Was Mussavi sonst in diesen Wochen äußerte, klingt vernünftig. Die „Almosenwirtschaft“ Ahmadinedschads sei für das Volk erniedrigend, sagte er. „Wir müssen langfristige Investitionen tätigen, Arbeitsplätze schaffen und der Korruption Einhalt gebieten.“ Justiz- und Verwaltungsapparat müssten unter Einsatz aller Sachverständigen wieder funktionsfähig gemacht und die Öffentlichkeit müsse über alles wahrheitsgetreu informiert werden. Die Sittenpolizei solle gänzlich abgeschafft und die Freiheit der Presse und Meinungsäußerung gewährleistet werden.

Wie ernst es Mussavi mit diesen Versprechen ist, und wie weit er im Falle seiner Wahl sein Programm durchsetzen kann, bleibt offen. Siegen kann Mussavi nur, wenn es ihm gelingt, große Teile der moderaten Konservativen und Revolutionsführer Chamenei für sich zu gewinnen.

Verliert Chamenei an Macht?

Chameneis Stellungnahme für Ahmadinedschad schmälert Mussavis Chancen. Der Revolutionsführer stand schon immer, besondere aber in den letzten Jahren, auf Seiten der radikalen Islamisten. Bleibt Chamenei bei seiner Entscheidung für Ahmadinedschad, werden ihm viele moderate Konservative, unter denen sich auch einflussreiche geistliche Instanzen befinden, endgültig den Rücken kehren. Zudem riskiert Chamenei damit Krisen, Unruhen – bis hin zu einem Zerfall des Gottesstaates. Lässt er sich hingegen auf Mussavi ein, verliert er nicht nur seine Basis unter den Radikalen, er müsste auch auf einen Teil seiner Macht verzichten.

Selbst wenn es Mussavi gelingen sollte, Chamenei umzustimmen, bliebe immer noch die Frage, ob sich Ahmadinedschad, der die Macht sichtbar genießt, aus dem Amt drängen lässt. Zwar hat er seine Basis in den Provinzen weitgehend verloren und auch in der Geistlichkeit kaum noch Unterstützer, jedoch steht ein großer Teil der Revolutionswächter hinter ihm. Diese Organisation, über die sich selbst der Revolutionsführer nicht ungeschoren hinwegsetzen kann, bildet ein mächtiges, wenn nicht das mächtigste Zentrum der Macht im Iran - nicht allein militärisch, sondern auch wirtschaftlich. Unter Ahmadinedschad haben die Revolutionswächter die größten Staatsaufträge erhalten. Sie sind mit Abermilliarden am Ölgeschäft beteiligt und beherrschen einen wichtigen Teil des Marktes, auch des Schwarzmarktes. Dank Ahmadinedschad sitzen ehemalige führende Revolutionswächter heute an den Schalthebeln der Macht. Im Iran spricht man von einer Militarisierung der Regierung, die unter Ahmadinedschad stattgefunden hat.

Im Zentrum der Macht: die Revolutionswächter

Ahmadinedschad wird weiter unterstützt von paramilitärischen Organisationen, von Geheimdiensten und Ordnungskräften und selbstredend von all jenen ideologisch verbrämten Radikalen, die ihn als Wegbereiter für die Rückkehr des verborgenen Imams, des schiitischen Messias, sehen. Wird sich so jemand leicht von der Macht drängen lassen? Oder wird er Widerstand leisten, nötigenfalls auch nicht davor zurückschrecken, seine Position mit Gewalt zu verteidigen?

Wären die Wahlen im Iran frei, würde der Sieger am 12. Juni 2009 höchstwahrscheinlich nicht Ahmadinedschad, vermutlich auch nicht Mussavi heißen. Sie sind nicht frei. Den Wählern wird nichts anderes übrig bleiben, als bis zum 12. Juni auf die Überraschung zu warten, die ihnen die Machthaber präsentieren werden.

Dossier

Machtkampf im Iran: Wo ist meine Stimme geblieben?

Drei Millionen Iraner_innen gingen vor einem Jahr auf die Straße und drückten ihren Unwillen aus. Grün - wurde die Farbe der Bewegung; Grün - als Symbol der Hoffnung auf einen politischen Wandel. Kann aus dem grünen Funken, der besonders unter den gebildeten jungen Iraner/innen weiter lebt, erneut ein Feuer der Freiheit werden?

Archiv